ME/CFS verstehen: ein Leitfaden
ME/CFS, ausgeschrieben Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom, ist eine chronische, schwächende Erkrankung, die durch eine Vielzahl von Symptomen gekennzeichnet ist, die alle Lebensbereiche erheblich beeinträchtigen. Aber was genau ist ME/CFS? Woran kann ich es erkennen? Welche Symptome bringt es mit sich? Wodurch wird ME/CFS verursacht?
Aktuelle Informationen über ME/CFS
Mir ist es wichtig, so weit wie möglich die aktuellsten Informationen über ME/CFS wiederzugeben. Die Informationen in diesem Beitrag sind einem Fachartikel¹ über ME/CFS entnommen, der am 3. Juni 2024 veröffentlicht wurde. In dem Fachartikel sind aktuelle Fakten und Hypothesen zu Symptomen und Ursachen von ME/CFS zusammengeführt worden.
Die Hypothesen habe ich außen vor gelassen und mich nur auf die gesammelten Fakten konzentriert. Informationen in diesem Beitrag, die nicht dem Artikel entnommen worden sind, habe ich mit Fußnotenzeichen gekennzeichnet. Die Quellenangaben findest du am Ende dieses Beitrags.
1) Myalgic Encephalomyelitis/Chronic Fatigue Syndrome: the biology of a neglected disease. Geschrieben von Hayley E. Arron, Benjamin D. Marsh, Douglas B. Kell, M. Asad Khan, Beate R. Jaeger, Etheresia Pretorius – www.frontiersin.org
Was ist ME/CFS?
Im Jahr 1969 wurde ME/CFS von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als neurologische Erkrankung klassifiziert. Der Name der Erkrankung macht schon Programm: Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom sagt vielen Menschen gar nichts, bedeutet aber so viel wie „muskelschmerzende Entzündung des Gehirns und des Rückenmarks/langandauerndes Erschöpfungs-Syndrom“.2
Syndrom bedeutet, dass die Erkrankung mehrere Symptome (Krankheitszeichen) aufweist, die zusammengefasst typisch für die Erkrankung sind.
Die Erkrankung hieß nicht immer ME/CFS. Sie ist unter vielen Namen bekannt, darunter Systemische Belastungsintoleranzkrankheit (SEID), Chronisches Erschöpfungssyndrom oder, wie sie heutzutage öfter abgekürzt genannt wird, Chronisches Fatigue-Syndrom (CFS).
ME/CFS wurde auch nicht immer als eigenständige, physische Krankheit anerkannt. Oft wurde sie in der Vergangenheit als psychische Störung missverstanden. In den 70er-Jahren wurde sie sogar als „epidemische Hysterie“ eingeschätzt.3
Mittlerweile sind zahlreiche krankhafte, organische Befunde belegt worden. Eine umfassende Auflistung findest du weiter unten.
In Deutschland wurde die Zahl der ME/CFS-Betroffenen vor der COVID-19-Pandemie auf etwa 250.000 geschätzt, darunter 40.000 Kinder und Jugendliche. Experten gehen davon aus, dass sich die Zahl der Erkrankten durch COVID-19 verdoppelt hat.3
Jeder kann von ME/CFS betroffen sein
ME/CFS betrifft alle Altersgruppen, Kulturen sowie wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gruppen. Die meisten Patienten werden im Alter zwischen 30 und 39 diagnostiziert,3 aber die Diagnose wird auch vom Kleinkind bis zur älteren Person gestellt. ME/CFS kann plötzlich oder schleichend beginnen. Die Mehrheit der Patienten erkrankt nach einem fieberhaften Infekt.4
ME/CFS tritt in unterschiedlichen Schweregraden auf, die weiter unten erläutert sind. Es gibt Betroffene, die mit leichten Einschränkungen den Alltag und eine Arbeitsstelle bewältigen. Wiederum gibt es Betroffene, die über Jahre bettlägerig sind und über eine Magensonde ernährt werden. Zwischen diesen Schweregraden mild betroffen und sehr schwer betroffen gibt es noch die Schweregrade moderat betroffen und schwer betroffen.5
Multisystemerkrankung ME/CFS
Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom entsteht aus einer schwer zu entziffernden Mischung aus genetischen Anfälligkeiten und Umwelteinflüssen (Einflüsse innerhalb und außerhalb des Körpers), insbesondere Virusinfektionen. Diese Vorbedingungen führen zu einer komplexen Reihe krankhafter Reaktionen, darunter Immunschwäche, chronische Entzündungen, Darmdysbiose (Störung der Darmflora) und Stoffwechselstörungen (der Stoffwechsel ist die Umwandlung von Nährstoffen in Energie. Im Fall von ME/CFS z. B. zeigen Zellen trotz Nährstoffzugabe eine verminderte Energieproduktion).
ME/CFS ist eine heterogene (uneinheitliche) Krankheit — die Patienten weisen unterschiedliche Symptome auf, und mehrere Körpersysteme sind betroffen; daher der Begriff Multisystemerkrankung.
ME/CFS weist Symptome auf, zu denen kognitive (geistige, der Denkleistung zugeordnete) und körperliche Beeinträchtigungen gehören, die sich bei kleiner Anstrengung verschlimmern.
Woran kann ich ME/CFS erkennen?
Das Hauptmerkmal von ME/CFS: Post-Exertional Malaise
Die Verschlimmerung der Symptome nach geringfügiger Anstrengung nennt sich PEM, ausgeschrieben Post-Exertional Malaise, was so viel wie „Unwohlsein nach der Anstrengung“2 bedeutet. Im deutschen Sprachraum ist PEM auch bekannt als Belastungsintoleranz. Umgangssprachlich wird PEM auch als Crash bezeichnet.
PEM ist das Leitsymptom, also das Hauptmerkmal der Krankheit, wonach diagnostiziert wird. Denn obwohl sich viele der Symptome von ME/CFS mit denen anderer Krankheiten überschneiden, ist PEM eine Besonderheit von ME/CFS.
PEM ist eine Verschlechterung der Symptome in Reaktion auf relativ geringe körperliche, kognitive, orthostatische (wenn der Körper in aufrechter Haltung ist) oder sogar emotionale Anstrengung.
Post-Exertional Malaise zeichnet sich aus durch eine (noch weiter) reduzierte geistige und körperliche Ausdauer, begleitet von Muskelermüdung und kognitiver Ermüdung. Je nach individuellem Krankheitsbild äußert sich PEM als ausgeprägte Schwäche mit schmerzenden Muskeln und Gelenken, grippeähnlichen Symptomen, Kreislaufstörungen und einer allgemeinen Verschlechterung des Zustands.
Auch PEM variiert je nach Schweregrad der Erkrankung und kann von sehr geringfügig bis extrem schwerwiegend auftreten. Die schwächende Wirkung von PEM kann je nach Schweregrad dazu führen, dass ein Betroffener sich ein paar Tage lang öfter als sonst auf einem Sofa ausruhen muss oder Monate, sogar Jahre, ans Bett gefesselt wird.
Die PEM-Phase ist gekennzeichnet durch eine verlängerte Dauer und Intensität, die nicht im Verhältnis zur auslösenden Anstrengung steht. Darüber hinaus ist PEM typischerweise gekennzeichnet durch einen verzögerten Beginn:
PEM kann zeitverzögert 24 bis 72 Stunden nach der Anstrengung auftreten, sodass der Zusammenhang mit der auslösenden Anstrengung nicht leicht zu ermitteln ist.
PEM hält unterschiedlich lange an und kann Tage, Wochen oder Monate andauern.
Bei wiederholten Überlastungen kann es zu einer stetigen Verschlechterung mit weiter reduzierter Belastungsgrenze kommen.4
Was löst PEM aus?
Die Anstrengung oder Leistung, die der Patient vorab vollbringt, kann bei Schwerbetroffenen so gering sein wie das Zähneputzen, sich auf die Bettkante setzen, einen kurzen Text lesen oder leicht aufgeregt sein. Was als anstrengend empfunden wird, variiert je nach Schweregrad der Erkrankung. Die Auslöser von PEM sind daher individuell, variabel in der Intensität und breit gefächert.
Folgende Faktoren können PEM hervorrufen oder verstärken. Die Auflistung von bekannten Auslösern von PEM enthält Beispiele, die verschiedene Schweregrade von ME/CFS verdeutlichen:
1. Körperliche Belastungen
Sich körperlich anstrengen, wie z. B. eine Runde Sport treiben, eine Etage Treppen steigen oder, im sehr schweren Fall von ME/CFS, das Sprechen
2. Emotionale Belastungen
Emotionen oder Stress empfinden, wie z. B. im Falle von Trauma, in einer Auseinandersetzung verwickelt sein oder Freude ausdrücken
3. Sensorische Überreizung
Stundenlang lauten Geräuschen oder grellem Licht ausgesetzt sein, im überfüllten Supermarkt auf Körperkontakt kommen, das Zwielicht durchs Fenster sehen
4. Infektionen
Akute Infektionen oder entzündliche Prozesse können PEM auslösen oder verstärken. Diese können zum Beispiel eine Grippe, eine Erkältung oder eine Nervenentzündung sein.
5. Schlafmangel
Unzureichender oder gestörter Schlaf kann die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass PEM auftritt.
6. Längeres Stehen oder Sitzen
Längeres Stehen oder Sitzen kann bei einigen Betroffenen PEM hervorrufen.
Was sind die Symptome von ME/CFS?
Die Symptome von ME/CFS können täglich oder wöchentlich in ihrer Intensität schwanken. Kaum freut man sich zum Beispiel, dass man sich gerade etwas besser fühlt, geht es einem ein paar Tage später schlechter. Manchmal ist es ein Symptom, das gerade heraussticht, manchmal mehrere oder alle, die ein Auf und Ab zeigen.
Hier ist eine Auflistung der typischen Symptome bei ME/CFS:
1. Post-Exertional Malaise (PEM), auch bekannt als Belastungsintoleranz (wie schon oben näher beschrieben)
2. Anhaltende Müdigkeit
3. Autonome Dysfunktion (Störung des automatischen Nervensystems)
- Schwindel
- Ohnmacht/Palpitationen (Herzklopfen)
- Tachykardie (Herzrasen)
- POTS – Posturales Tachykardie-Syndrom (Herzrasen bei Bewegung in die aufrechte Position)
- Schwitzen
- Räumliche Orientierungslosigkeit (in seiner Umgebung desorientiert sein)
4. Orthostatische Intoleranz (Eine Verschlechterung der Symptome in aufrechter Position)
5. Schmerz
- Muskelschwäche/Myalgie (Muskelschmerz)
- Kopfschmerzen
- Brustschmerzen
6. Magen-Darm-Probleme
- Übelkeit
- Durchfall
- Erbrechen
7. Atemprobleme
- Dyspnoe (Schwierigkeiten beim Luftnehmen)
- Anhaltender Husten
- Kurzatmigkeit
8. Immunologische Beeinträchtigungen (Probleme mit dem Immunsystem)
- Grippeähnliche Symptome
- Empfindliche Lymphknoten
- Halsschmerzen
- Allergische Reaktionen
- Erhöhte Anfälligkeit für Infektionen
9. Neurologische Beeinträchtigungen (Probleme mit dem Nervensystem)
Kognitive Dysfunktion (Probleme mit der geistigen/denkenden Leistungsfähigkeit), wie z. B.:
- Verringerte Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit
- Verminderte Reaktionszeit
- Langsameres Arbeitsgedächtnis
- Eingeschränkte Aufmerksamkeit
- Brain Fog (Gehirnnebel)
- Brain Fog wird durch die oben beschriebenen kognitiven Störungen verursacht. Darüber hinaus können Betroffene unter Wortfindungsstörungen, Fokussierungsproblemen und verschwommener Sicht leiden.6
- Schlafprobleme
- Schwierigkeiten beim Ein- oder Durchschlafen
- Nicht-erholsamer Schlaf
- Überempfindlichkeit gegen Reize
- Verstärkte Empfindlichkeit gegenüber Licht, Geräuschen oder Berührungen
10. Neuroendokrine Anomalien (Abweichungen im Zusammenspiel zwischen Nervensystem und Hormonsystem)
11. Neuroinflammation des Gehirns (Entzündung im Gehirn)
12. Urogenitale Beschwerden (Beschwerden, die Harn- und Geschlechtsorgane betreffen)
Der Schweregrad bei ME/CFS
Die Symptome der Patienten lassen sich in der Regel in vier Schweregrade unterteilen:
Mild (bzw. leicht)
Moderat (bzw. mittelschwer)
Schwer
Sehr schwer (bzw. schwerst)
Die Definitionen des Schweregrads sind nicht eindeutig, da die einzelnen Symptome stark in ihrer Schwere variieren können. Manche Betroffene leiden stärker unter bestimmten Symptomen als unter anderen. Die folgenden Definitionen bieten jedoch einen Leitfaden für die Auswirkungen der Symptome auf die tägliche Betätigung:
Mildes (bzw. leichtes ME/CFS)
Menschen mit leichtem ME/CFS können sich selbst versorgen und einige leichte häusliche Aufgaben erledigen (manchmal benötigen sie Unterstützung). Sie können Schwierigkeiten mit der Mobilität haben. Die meisten Betroffenen sind weiterhin berufstätig oder in der Ausbildung, jedoch auf Kosten von Freizeit- und sozialen Aktivitäten. Sie arbeiten häufig reduzierte Stunden, nehmen sich Krankheitstage und nutzen die Wochenenden, um sich von den Belastungen der Woche zu erholen.
Moderat (bzw. mittelschweres ME/CFS)
Menschen mit moderatem ME/CFS haben eine eingeschränkte Mobilität und sind in allen Aktivitäten des täglichen Lebens beeinträchtigt, obwohl ihre Symptome und ihre Fähigkeit, Aktivitäten auszuführen, Schwankungen unterliegen können. Sie haben in der Regel die Arbeit oder Ausbildung eingestellt und benötigen regelmäßige Ruhepausen. Oft ruhen sie sich nachmittags für ein bis zwei Stunden aus. Ihr Nachtschlaf ist meist von schlechter Qualität und häufig gestört.
Schweres ME/CFS
Menschen mit schwerem ME/CFS sind kaum in der Lage, alltägliche Aufgaben selbstständig zu bewältigen und können nur minimale Tätigkeiten ausführen, wie etwa das Gesicht oder die Zähne reinigen. Sie leiden unter schweren kognitiven Beeinträchtigungen und benötigen möglicherweise einen Rollstuhl zur Fortbewegung. Oft können sie das Haus nicht verlassen oder erleiden schwerwiegende und anhaltende Verschlechterungen, wenn sie dies tun. Sie verbringen häufig die meiste Zeit im Bett und sind extrem empfindlich gegenüber Licht und Geräuschen.
Sehr schwer (bzw. schwerstes ME/CFS)
Menschen mit sehr schwerem ME/CFS sind den ganzen Tag ans Bett gebunden und vollständig auf Pflege angewiesen. Sie benötigen Unterstützung bei der persönlichen Hygiene und beim Essen. Betroffene sind extrem empfindlich gegenüber sensorischen Reizen wie Licht, Geräuschen und Berührungen. In manchen Fällen können sie nicht mehr schlucken und sind auf Ernährung über eine Sonde angewiesen.5
Mögliche Auslöser von ME/CFS
ME/CFS entsteht durch ein komplexes Zusammenspiel genetischer Veranlagungen und äußerer Einflüsse, wie z. B. Virusinfektionen. Diese Faktoren lösen im Körper eine Reihe von miteinander verwobenen Reaktionen aus. Dazu gehören:
- Ein unausgeglichenes Immunsystem
- Chronische Entzündungen
- Ein Ungleichgewicht der Darmflora
- Stoffwechselstörungen
Diese krankhaften Veränderungen tragen dazu bei, dass der Körper seine Energie nicht mehr effizient bereitstellen und nutzen kann, was zu den vielfältigen Symptomen von ME/CFS führt.
Inzwischen ist der häufigste Auslöser für ME/CFS eine COVID-Erkrankung.7 Es folgt hier eine Auflistung von weiteren typischen Auslösern von ME/CFS. Ich habe Fachbegriffe aus dem Artikel beibehalten und umschrieben. Ich empfinde diese Vorgehensweise für mich selber ganz nützlich, denn wenn ich Websites lese, die Fachbegriffe benutzen, dann möchte ich verstehen, wovon sie reden. Ob die Umschreibungen bei mir hängenbleiben, das ist dann was anderes. 😆
1. Genetik
Es wird angenommen, dass ME/CFS eine genetische Veranlagung aufweisen könnte, da bei Mitgliedern derselben Familie häufig ME/CFS diagnostiziert wurde.
Zwillingsstudien und Familienanalysen haben gezeigt, dass es eine genetische Verbindung zwischen ME/CFS-Patienten und ihren Nachkommen gibt. Das bedeutet, dass Kinder von Betroffenen ein höheres Risiko haben, ebenfalls an ME/CFS zu erkranken.
2. Äußere Stressfaktoren
Die vielen verschiedenen Symptome und die unterschiedlichen Ausprägungen bei Patienten deuten darauf hin, dass ME/CFS wahrscheinlich durch mehrere Faktoren verursacht wird. Stressige oder traumatische Ereignisse könnten bei Menschen, die dafür genetisch anfällig sind, die Symptome auslösen. Zu diesen Stressfaktoren zählen akute Infektionen, emotionaler Stress und wichtige Lebensereignisse, wie zum Beispiel Operationen, Verletzungen oder Unfälle.
3. Infekte
Infektionen werden häufig als Auslöser für die Entwicklung von ME/CFS genannt, da viele Patienten berichten, dass der Beginn ihrer Symptome mit einem Infekt zusammenfiel. Schätzungen zufolge treten zwei Drittel der ME/CFS-Fälle nach einer Virusinfektion auf. Beispiele von solchen Virusinfektionen sind u. a. das Epstein-Barr-Virus, Influenza-Viren, Enteroviren und SARS-CoV-2, der Auslöser von COVID-19.
4. Impfungen
Darüber hinaus wurden auch Fälle von ME/CFS nach Immunisierung nachgewiesen.
5. Darmdysbiose (Störung der Darmflora)
ME/CFS-Patienten zeigen häufig gastrointestinale Symptome (Magen-Darm-Probleme), die mit Darmentzündungen, Dysbiose des Darmmikrobioms und Veränderungen im Darmmikrobiom einhergehen. Eine Verringerung der Mikrobiomvielfalt wurde festgestellt.
6. Zytokinsturm (übertriebene Immunreaktion)
Frühe ME/CFS-Stadien sind mit erhöhten entzündungsfördernden Zytokinen (Entzündungsbotenstoffe, die Entzündungsreaktionen im Körper hervorrufen) und einem ausgeprägten Zytokin-Entzündungsprofil assoziiert. Dieses Profil wird häufig bei chronischen Entzündungen, Autoimmunerkrankungen oder bestimmten Infektionen beobachtet.8
Bei Patienten mit ME/CFS wurde eine Aktivierung von Zytokinen festgestellt, die anscheinend mit zunehmender Schwere der Erkrankung zunimmt.
7. Oxidativer Stress (Ungleichgewicht zwischen Zellschäden und Zellschutz)
Redox-Ungleichgewichte (verursacht durch oxidativen Stress), nitrosativer Stress (verursacht durch zu viel Stickstoffmonoxid im Körper) und chronische Ischämie-Reperfusionsschäden (eine Wechselwirkung von Sauerstoffmangel im Gewebe und schädigenden Sauerstoffradikalen) sind allesamt wesentliche Faktoren bei ME/CFS.
Bei ME/CFS wurden Marker für oxidativen Stress identifiziert, die mit der Schwere der Symptome korrelieren.
8. Funktionsstörung bei Blutgefäßen und deren Endothel (Innenhaut)
Eine anhaltende Entzündung und eine Überaktivierung des Immunsystems kann die Blutgefäße und ihre innere Auskleidung (Endothel) schädigen. Diese Schäden führen dazu, dass die Blutgefäße nicht mehr richtig auf die Bedürfnisse des Körpers reagieren können. Dadurch wird das Gewebe nicht ausreichend mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt, was zu einem Sauerstoffmangel (Hypoxie) führt. Dieser Mangel kann Gewebeschäden und wiederholte Verletzungen durch die schwankende Durchblutung auslösen, was die typischen Symptome der Erkrankung verstärken kann.
Studien zeigen, dass microRNAs bei ME/CFS verändert sein können. Diese miRNAs sind Moleküle, die die Funktion der Blutgefäße und des Endothels aufrechterhalten. Veränderungen in diesen Molekülen könnten dazu beitragen, warum die Gefäßfunktion bei ME/CFS beeinträchtigt ist.
9. Vasokonstriktion und Hypoxie (Verengung der Blutgefäße und Sauerstoffmangel im Gewebe)
Viele ME/CFS-Patienten haben eine veränderte kardiovaskuläre (dem Herz-Kreislauf-System betreffende) Situation:
Eine Analyse von ME/CFS-Patienten ergab, dass einige der Patienten sympathische (dem sympathischen Nervensystem betreffende) Symptome, verbunden mit einer Dysautonomie (Fehlregulation des autonomen Nervensystems), hatten und mit einem schwereren Schweregrad der Erkrankung in Verbindung gebracht wurden. Ein paar litten allein durch sympathische Symptome, einige hatten parasympathische Symptome und andere kämpften mit dem sympathovagalen Gleichgewicht (das Gleichgewicht zwischen dem sympathischen und dem parasympathischen Nervensystem).
Es wurde festgestellt, dass Patienten mit ME/CFS im Vergleich zu Kontrollpersonen eine höhere Ruheherzfrequenz, eine niedrigere maximal/Spitzenherzfrequenz, höhere Herzfrequenzreaktionen bei Kipp-Tisch-Tests und Bewegung vom Sitzen zum Stehen und eine niedrigere Herzfrequenz bei einer submaximalen Trainingsschwelle aufweisen. Darüber hinaus unterschieden sich die Parameter der Ruheherzfrequenz (HRV) bei ME/CFS-Patienten.
Kipp-Tisch-Tests von ME/CFS-Patienten haben einen reduzierten zerebralen (dem Gehirn betreffenden) Blutfluss und einen erhöhten Hirndruck gezeigt.
Kardiopulmonale (Herz und Lungen betreffende) Belastungstests (CPET) haben eine reduzierte anaerobe Schwelle bei ME/CFS nachgewiesen. Einige klinische Studien haben einen erhöhten Laktatspiegel im Blut, im Liquor (Hirn-Rückenmark-Flüssigkeit) und in den Muskeln des ME/CFS-Patienten festgestellt, was auf eine verminderte oxidative Phosphorylierung (Energiegewinnung in den Zellen mit der Hilfe von Sauerstoff) und einen Wechsel zur weniger effizienten anaeroben Glykolyse hindeutet (sauerstofflose Energiegewinnung).
10. Neuroinflammation (Gehirn- und Rückenmarkentzündung)
PET-Bildgebungen zeigen erhöhte Zytokine (Entzündungsbotenstoffe, die Entzündungsreaktionen im Körper hervorrufen) im Rückenmark und Gehirn sowie eine verstärkte Aktivierung von Astrozyten und Mikroglia (Teil der Gliazellen, die das Nervensystem stützen und unterstützen).
11. Beeinträchtigter Energiehaushalt
Bei ME/CFS sind eine verringerte mitochondriale Atmungsfunktion erkennbar (die Mitochondrien sind die “Kraftwerke” der Zellen). Mitochondriale Dysfunktion ist ein herausragendes Merkmal bei ME/CFS.
In Muskelbiopsien von ME/CFS-Patienten wurden strukturelle mitochondriale Anomalien (Abweichungen) festgestellt.
12. Abnormale Gerinnung (Blutverdickung)
In einer Studie zeigten ME/CFS-Blutproben eine signifikante Hyperkoagulation (übermäßige Blutverklumpung) sowohl von Vollblut als auch von plättchenarmem Plasma. Es wurde auch eine Thrombozytenhyperaktivierung (Überreaktion der Blutplättchen) sowie das Vorhandensein von Mikrogerinnseln (winzige Blutverklumpungen) beobachtet.
13. Hormonelle Veränderungen
In einer ME/CFS-Studie wurden signifikant reduzierte Werte vom Hormon Adrenocorticotropin (ACTH) und dem dadurch freigesetzten Hormon Cortisol festgestellt.
Der Hormon IGF-1 (Wachstumsfaktor 1, stimuliert Wachstum und repariert Zellen) war bei Patienten mit schwerer ME/CFS-Erkrankung im Vergleich zur Kontrollgruppe sowie zu ME/CFS-Patienten mit leichter Erkrankung ebenfalls signifikant reduziert.
Verschiedene Symptome, die bei ME/CFS auftreten, wie Veränderungen des Körpergewichts, des Appetits, Flüssigkeitsretention (wenn sich zu viel Flüssigkeit im Körper ansammelt) und unregelmäßige Menstruation, werden in Verbindung mit einer Dysfunktion des Hypothalamus gebracht (der Hypothalamus im Gehirn schüttet verschiedene Hormone aus, die unser Körpergewicht, den Appetit, die Flüssigkeitsregelung und die Menstruation steuern).
14. Epstein-Barr-Virus (EBV)
Nach einer Infektion mit EBV kommt es bei einigen ME/CFS-Patienten zu einer Hochregulation (übertriebene Aktivität) des EBV-induzierten Gens 2 – ein entscheidendes Gen für die Funktion des Immunsystems und des Zentralnervensystems.
15. Autoimmunität (Überreaktion des Immunsystems, wobei es den eigenen Körper angreift)
Wie bei anderen chronischen Erkrankungen wurde festgestellt, dass einige Gene bei ME/CFS-Patienten mit Autoimmunität in Verbindung gebracht werden. Bei einigen ME/CFS-Patienten wurden Autoantikörper identifiziert (Antikörper, die fälschlicherweise eigene Zellen oder Gewebe angreifen). Mehrere Betroffene weisen Symptome auf, die sich mit denen anderer Autoimmunerkrankungen überschneiden.
Was hat ME/CFS für Auswirkungen?
Chronische Müdigkeit ist bei den meisten Betroffenen ein auffälliges Merkmal; im Gegensatz zur physiologischen Erschöpfung (wie z.B. nach einer anstrengenden Runde Sport oder einem langen, stressigen Tag im Büro), lässt die Müdigkeit nicht nach, unabhängig davon, wie viel die Patienten schlafen oder sich ausruhen. Betroffene erzählen von Schwierigkeiten bei der Bewältigung alltäglicher Aufgaben und der Unfähigkeit, ihre gewohnten Aktivitäten auszuführen. Die meisten Erkrankten leiden unter mäßigen oder extremen Schmerzen, viele erleben Schwierigkeiten mit der Mobilität und Probleme beim Waschen oder Ankleiden.
ME/CFS beeinflusst verschiedene Lebensbereiche der Betroffenen erheblich. Im Folgenden werden die Auswirkungen auf Schlaf, Sexualleben, Freizeit, Urlaub, Schule, Arbeit und Finanzen kurz erläutert:
Schlaf
ME/CFS beeinträchtigt den Schlaf erheblich, was zu nicht erholsamem Schlaf, Durchschlafstörungen und einem gestörten Tag-Nacht-Rhythmus führt.3
Partnerschaft
Die Krankheit kann aufgrund von Symptomen wie schwerer Erschöpfung und kognitiven Einschränkungen sowohl für Betroffene als auch für ihre Partner*innen eine enorme Belastung darstellen. Partnerschaften können leiden, da Betroffene oft nicht mehr in der Lage sind, aktiv am gemeinsamen Leben teilzunehmen. Dies kann Gefühle von Isolation und Unverständnis auf beiden Seiten hervorrufen. Auch die soziale Unterstützung innerhalb von Familien ist häufig durch den erhöhten Pflegebedarf belastet.3,4
Freizeit
ME/CFS schränkt die Freizeitgestaltung erheblich ein. Aufgrund der chronischen Erschöpfung und der post-exertionellen Malaise (PEM) sind selbst leichte Aktivitäten wie Spaziergänge, Treffen mit Freunden oder Hobbys oft nur eingeschränkt oder gar nicht möglich. Betroffene müssen ihre Energie sorgfältig einteilen und Pausen einplanen, um eine Verschlechterung der Symptome zu vermeiden.3
Urlaub
ME/CFS kann die Urlaubsplanung und -durchführung erheblich beeinträchtigen. Aufgrund der chronischen Erschöpfung und der post-exertionellen Malaise (PEM) sind selbst leichte Aktivitäten wie Reisen oder touristische Unternehmungen oft nur eingeschränkt oder gar nicht möglich. Betroffene müssen ihre Energie sorgfältig einteilen und Pausen einplanen, um eine Verschlechterung der Symptome zu vermeiden.3
Schule
ME/CFS kann die Möglichkeit zur Teilnahme am normalen Schulalltag vermindern. Die Fähigkeit, Hausaufgaben und andere Verpflichtungen zu erfüllen, ist eingeschränkt. Betroffene Schülerinnen und Schüler können einen geringeren schulischen Erfolg erleben. Sie benötigen individuelle Anpassungen, wie verkürzte Unterrichtszeiten, zusätzliche Pausen oder Hausunterricht, um den Bildungsweg fortsetzen zu können.9
Ausbildung
Studenten mit ME/CFS beschrieben Erfahrungen der Delegitimierung, das Gefühl, stigmatisiert zu sein, und wie die Krankheit ihre Fähigkeit veränderte, akademische Leistungen zu erbringen. Im Ausbildungs- und Studienalltag führt ME/CFS oft zu häufigen Fehlzeiten und erschwert die Teilnahme an Lehrveranstaltungen. Betroffene benötigen individuelle Anpassungen, wie flexible Stundenpläne, verlängerte Abgabefristen oder die Möglichkeit zum Fernstudium, um ihre Ausbildung fortsetzen zu können.10,11
Arbeit
ME/CFS-Betroffene haben oft erhebliche Schwierigkeiten, einer Arbeit nachzugehen. Aufgrund der belastungsintoleranten Natur der Erkrankung (Post-Exertional Malaise) können selbst geringe Anstrengungen eine Verschlechterung der Symptome auslösen. Viele Erkrankte sind deshalb dauerhaft arbeitsunfähig oder können nur in stark eingeschränktem Umfang arbeiten. Öfters erleben Betroffene gescheiterte berufliche Wiedereingliederungsversuche.3,4,12,13
Finanzen
ME/CFS hat schwerwiegende finanzielle Folgen für Betroffene und ihre Angehörigen. Viele Erkrankte sind arbeitsunfähig, verlieren dadurch Einkommen und stehen vor steigenden Kosten für medizinische Behandlungen und notwendige Anpassungen des Alltags. Zudem ist die staatliche Unterstützung oft unzureichend, was das Risiko von finanzieller Not erheblich erhöht.3,4,12,13
1) Myalgic Encephalomyelitis/Chronic Fatigue Syndrome: the biology of a neglected disease. Geschrieben von Hayley E. Arron, Benjamin D. Marsh, Douglas B. Kell, M. Asad Khan, Beate R. Jaeger, Etheresia Pretorius – www.frontiersin.org, 2) Diese Definition basiert auf meiner eigenen Wortrecherche im Internet, 3) Deutsche Gesellschaft für ME/CFS e.V. – www.mecfs.de, 4) Fatigatio e.V. Bundesverband ME/CFS – www.fatigatio.de, 5) NICE (National Institute for Health and Care Excellence), Vereinigtes Königreich. NICE Guideline NG206 – www.nice.org.uk/guidance/ng206, 6) EnableME, Stiftung MyHandicap GmbH – www.enableme.de, 7) Charité Berlin – https://cfc.charite.de, 8) IMD Labor Berlin – www.imd-berlin.de, 9) Elterninitiative ME/CFS-kranke Kinder & Jugendliche München e.V. - www.mecfs-kinder-muc.de, 10) Taylor & Francis Online - www.tandfonline.com, 11) Action for ME - www.actionforme.org.uk, 12) Lost Voices Stiftung - https://lost-voices-stiftung.org, 13) ME-CFS Portal - www.me-cfs.net
Puh, das waren dreieinhalb Monate Arbeit 😮💨
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