Aktivitätsmanagement für ME/CFS

Pacing, Envelopes, Baseline und die Löffeltheorie — was hat das alles zu bedeuten?

Im Umgang mit ME/CFS ist ein effektives Energiemanagement unerlässlich, um die täglichen Herausforderungen zu meistern. Verschiedene Ansätze wie Pacing, die Energy Envelope Theory, das Festlegen einer persönlichen Baseline und die Löffeltheorie bieten hierfür wertvolle Strategien. Die vier Konzepte zielen alle darauf ab, Menschen mit ME/CFS dabei zu unterstützen, ihre Energie effektiv zu managen und Überanstrengung zu vermeiden. Sie betonen die Bedeutung eines bewussten Umgangs mit den begrenzten Energieressourcen, um die Symptome zu minimieren und die Lebensqualität zu verbessern. Dabei liegt der Fokus auf der Selbstbeobachtung, dem Setzen realistischer Grenzen und der Planung von Aktivitäten entsprechend der individuellen Energiekapazität.

Pacing als Aktivitätsmanagement

Pacing (bedeutet so viel wie „das Tempo anpassen“) ist eine Strategie, mit der ME/CFS-Patienten ihre Aktivität so steuern, dass Rückfälle in Form von postexertioneller Malaise (PEM) vermieden werden – kurz: „Tu so viel, wie du kannst, innerhalb deiner Grenzen.“

 

Basierend auf Forschungen, die eine abnorme metabolische und immunologische Reaktion auf Anstrengung bei ME/CFS zeigen, bietet Pacing einen Mittelweg zwischen Überlastung und den negativen Folgen von Inaktivität. Mehrere Studien und Umfragen bestätigen, dass viele Patienten von diesem Ansatz profitieren. Auch Institutionen wie die CDC und die NICE-Richtlinien (2021) empfehlen Pacing als effektiven Bestandteil der Behandlung.

Entwicklung und Grundgedanke

In den 1980er‑Jahren in Großbritannien entwickelt – unter anderem von der Gesundheitspsychologin Ellen Goudsmit, die selbst ein postvirales Syndrom durchlebte – entstand Pacing aus der Notwendigkeit, dass Patienten lernen, ihre Kräfte einzuteilen und so unnötige Rückfälle zu vermeiden. Gleichzeitig formulierte Leonard Jason die Energy Envelope Theory, die auf ähnlichen Prinzipien der Energiebilanz basiert.

Innehalten, bevor du übertreibst

Das Ziel von Pacing ist es, so aktiv wie möglich zu bleiben, ohne die eigenen Energiegrenzen zu überschreiten. Patienten müssen lernen, frühe Anzeichen von Überanstrengung zu erkennen und Aktivitäten – oft durch gezieltes Pausieren oder sogar abruptes Abbrechen – rechtzeitig zu reduzieren.

Innere Signale statt fester Pläne

Anders als bei der Graded Exercise Therapy (GET) stützt sich Pacing nicht auf starre Ziele, sondern auf das eigene Empfinden. Sobald erste Ermüdungserscheinungen spürbar sind, wird empfohlen, sich auszuruhen. Bei kognitiven Tätigkeiten wie Lesen, die oft weniger deutliche Warnsignale geben, kann ein Timer helfen, die Aktivität im Rahmen zu halten. Manche Betroffene nutzen Smartwatches, um ihr Pacing zu unterstützen. Eine Herzfrequenzüberwachung kann zum Beispiel vorzeitig vor einer maximalen Herzfrequenz warnen, oder das Messen der Herzratenvariabilität kann vor einer niedrigen HRV warnen, ein Zeichen von Überlastung.

Wechseln der Aktivitäten („Switching“) und Dokumentation

Ein wichtiger Aspekt des Pacing ist das Wechseln zwischen verschiedenen Aktivitäten, um eine Übermüdung einzelner Muskelgruppen zu vermeiden. Beispielsweise kann man nach längerem Lesen etwas anderes tun – wie spazieren gehen oder telefonieren – und so den Körper schonen.

Viele Patienten führen zudem ein Tagebuch oder nutzen Aktivitätstracker, um den Zusammenhang zwischen Anstrengung und Symptomverschlechterung besser zu verstehen.

Aktivität steigern, wenn es passt

Pacing hilft, die individuelle Leistungsgrenze zu erkennen. Sobald sich der Gesundheitszustand stabilisiert hat und über einen Zeitraum von etwa drei Monaten keine Rückfälle auftreten – oft bei 60–70 % der früheren Leistungsfähigkeit – kann es sinnvoll sein, die Aktivität schrittweise zu steigern oder in eine sanfte Form der GET zu übergehen, um die Fitness weiter zu verbessern.

Die „Energy Envelope“-Theorie

Chronisches Fatigue-Syndrom: Deine „Energiehülle“ respektieren

Die Energy Envelope-Theorie (Energy Envelope kann mit Energiehülle übersetzt werden) wurde von Dr. Leonard Jason entwickelt und erprobt, um die Schwere der Symptome sowie die Häufigkeit von Rückfällen bei ME/CFS-Patienten zu reduzieren. Laut dieser Theorie sollten Betroffene niemals mehr Energie aufwenden, als sie subjektiv für sich als verfügbar einschätzen – Überschreitungen führen zur Post-Exertional  Malaise (PEM) und einer Verschlechterung des Gesundheitszustands. Stattdessen wird geraten, innerhalb des eigenen „Energie-Envelopes“ zu bleiben, also den körperlichen Grenzen, die durch die Krankheit gesetzt werden, zu respektieren.

Durch Grenzen setzen den Energieverbrauch ausbalancieren

Da die Theorie auch vor zu geringer Aktivität warnt, ähneln ihre Prinzipien weitgehend dem „Pacing“. Mehrere Studien zeigen, dass Patienten, die ihren Energieverbrauch ausbalancieren und innerhalb ihrer Grenzen bleiben, weniger Symptome haben und ein höheres Funktionsniveau erreichen. Aus diesem Grund wird der Ansatz sowohl von Patientenorganisationen als auch von Institutionen wie den CDC als wirksamer Bestandteil in der Behandlung von ME/CFS empfohlen.

Innerhalb der Grenzen des „Envelopes“ bleiben

Der Kern der Theorie liegt darin, als CFS-Betroffener innerhalb der „Energiehülle“ die eigenen Energiereserven optimal zu nutzen:

 

Nicht zu viel: Behandlungsprogramme, die eine kontinuierliche Steigerung der täglichen Aktivität (z. B. Graded Exercise Therapy) empfehlen, werden kritisch gesehen, da sie das Risiko bergen, die vorhandene Energie zu überschreiten und damit Rückfälle oder eine Zunahme der Symptome auszulösen. Paradoxerweise kann weniger oft zu mehr führen, wenn dadurch Rückschläge vermieden werden.

 

Nicht zu wenig: Gleichzeitig wird vor Unteranstrengung gewarnt. Jason et al. betonen, dass ein zu geringes Aktivitätsniveau – wie es beispielsweise bei der Activity Pacing Therapy (APT) mit der 70%-Regel praktiziert wurde – negative Nebenwirkungen, etwa verstärkte soziale Isolation, haben kann.

 

Das Ziel ist es, einen komfortablen Bereich des Energieverbrauchs zu finden, in dem weder Über- noch Unteranstrengung vorliegt, sodass langfristig ein optimales Aktivitätsniveau erreicht werden kann.

Baseline

Die Baseline bezeichnet das individuelle, nachhaltige Aktivitätsniveau, das dauerhaft erreicht werden kann, ohne dass sich die Symptome verschlechtern. Es beschreibt den Bereich, in dem stets nur so viel Energie eingesetzt wird, wie tatsächlich zur Verfügung steht.

Leben mit ME/CFS

Die Bewältigung von ME/CFS erfordert, den eigenen Energiehaushalt genau zu kennen und zu respektieren. Täglich schwankt das Energielevel – beeinflusst durch körperliche Verfassung, Emotionen und äußere Umstände. Es ist daher wichtig, den Tag so zu strukturieren, dass aktive Phasen und Ruhephasen sinnvoll aufeinander abgestimmt werden. Indem man sich an die festgelegte Baseline hält, lassen sich Überlastungen vermeiden und dem Körper gleichzeitig optimale Regenerationsphasen bieten.

Boom und Crash

So richtig ins Schwanken gerät der CFS-ler, wenn er seinen Energiehaushalt noch nicht kennengelernt hat oder reguliert. In Phasen wenn der Betroffene sich gut und energisch fühlt (der Boom), setzt er sich aktiv im Alltag ein oder nimmt an einem besonderen Ereignis teil, das mehr oder minder an den Kräften zerrt. Dies fordert dann seinen Tribut in Form eines großen Crashes, also einer schweren Post-Exertional Malaise.

 

Nach einer schleppenden und belastenden Phase der Rekonvaleszenz fühlt der CFS-ler sich wieder fit und startet wieder mit Elan in den Alltag und das Auf und Ab fängt wieder von vorne an.

 

Wenn man sich das Schwanken bildlich vorstellt, ergibt dies eine Welle mit extremen Spitzen und Tälern. Die Baseline wiederum besteht aus milden Wellen und würde in diesem Bild horizontal und mittig durch die Boom-Crash-Welle laufen.

Die Rolle der Selbstbeobachtung

Um die eigene Baseline zu ermitteln, empfiehlt es sich, den täglichen Aktivitätsgrad über einen längeren Zeitraum zu dokumentieren – idealerweise in regelmäßigen Abständen und unter Berücksichtigung des Anstrengungsgrades. Gleichzeitig sollte der Energielevel beobachtet und notiert werden, wann und in welchem Umfang sich die Leistungsfähigkeit verändert. Auf diese Weise können Muster erkannt werden, die dabei helfen, den Alltag so zu planen, dass er dem tatsächlichen Energiehaushalt entspricht.

 

Klicke hier für den Leitfaden zur Vermeidung von Post-Exertional Malaise (PEM) der Open Medicine Foundation. Darin enthalten ist eine Tabelle zur Aktivitäts- und Symptomverfolgung (Tracking), die du vier Wochen lang ausfüllen kannst, oder als Vorlage kopieren kannst.

Vermeidung von übermäßiger Anstrengung

Ein zentrales Ziel besteht darin, jene Erschöpfung zu vermeiden, die mit intensiver Anstrengung einhergeht – jenem Gefühl, dass jede Bewegung den Körper übermäßig belastet. Es ist normal, morgens müde oder träge zu sein, doch sanfte, entspannte Bewegungen oder geistige Tätigkeiten, die ohne großen Kraftaufwand erfolgen, können helfen, ohne dass sich das Erschöpfungsgefühl verstärkt. Auch leichte Bewegung, die die Durchblutung fördert, trägt dazu bei, dass man sich wacher fühlt.

Berücksichtigung der mentalen Gesundheit

Neben den körperlichen Aspekten spielt das emotionale Wohlbefinden eine wichtige Rolle. Der Tagesablauf sollte nicht nur den Erholungsbedarf berücksichtigen, sondern auch Aktivitäten beinhalten, die Freude und Zufriedenheit fördern. Oft müssen alternative Wege gefunden werden, um positive Erlebnisse zu ermöglichen, wenn herkömmliche Aktivitäten zu anstrengend erscheinen. Ein ausgewogenes Verhältnis von Aktivität und Ruhe ist somit entscheidend für den langfristigen Umgang mit ME/CFS.

Nachhaltiges Aktivitätsniveau statt Symptomfreiheit

Viele Betroffene streben danach, symptomfrei zu sein. In der Praxis ist es jedoch oft unrealistisch, einen Tag zu erleben, an dem überhaupt keine Beschwerden auftreten. Stattdessen geht es darum, ein nachhaltiges Aktivitätsniveau zu finden – eine Baseline, bei der genau beobachtet wird, welche Tätigkeiten ausgeführt werden können, ohne dass sich Symptome wie Muskelkater, anhaltende Müdigkeit oder Schmerzen verstärken. So kann beispielsweise Muskelkater nicht nur durch Überanstrengung entstehen, sondern auch durch mangelnde Entspannung der Muskulatur. Daher ist es sinnvoller, den Fokus auf ein Energielevel zu legen, das den Körper schont und dennoch aktive Phasen ermöglicht.

Spoon Theory – die Löffeltheorie

Die Löffeltheorie wurde von der amerikanischen Bloggerin Christine Miserandino (klicke hier für ihre Website) entwickelt, die an Lupus leidet, einer unsichtbaren Krankheit, die chronische Müdigkeit, chronische Schmerzen und viele andere Symptome verursacht, die ihr Energieniveau und ihre Fähigkeit, alltägliche Dinge zu tun, einschränken.

 

 

Viele Menschen mit chronischem Fatigue-Syndrom haben die in der Löffeltheorie verwendete Terminologie übernommen, um gesunden Menschen ihr begrenztes Energieniveau und die Auswirkungen ihrer Müdigkeit oder anderer Symptome zu erklären.

Mit Löffeln den Alltag planen

Zudem können Menschen, die mit chronischen Gesundheitszuständen leben, die Löffeltheorie anwenden, um ihren Alltag zu planen. Sie wird angewendet um Ihre eigenen und andere Erwartungen an Ihren Tag anzuerkennen und zu verwalten. 

 

Betroffene beginnen jeden Tag mit einer festgelegten Anzahl von „Löffeln“, von denen jeder die körperliche und geistige Energie repräsentiert, die erforderlich ist, um eine tägliche Aufgabe oder Aktivität zu erledigen.

 

An manchen Tagen haben sie vielleicht „viele“ Löffel, an anderen Tagen fühlen sie sich vielleicht nicht wohl und haben so weniger Löffel zu benutzen.

Wie funktioniert die Löffeltheorie?

Um es zu vereinfachen, entspricht jeder Löffel einer Energieeinheit.

 

Nehmen wir an, du besitzt 12 Löffel, was die Menge ist, die Christine verwendet hat, um die Theorie zu veranschaulichen. In der unteren Tabelle sind Beispiele an der Anzahl an Löffeln pro Aktivität. Die Anzahl der Löffel ist nicht in Stein gemeißelt, denn zum Beispiel empfinden manche chronisch Kranke das Anziehen als belastender als das Waschen. 

Aktivitäten mit Löffeln messen

  • Morgens aufstehen = 1 Löffel
  • Duschen oder waschen = 2 Löffel
  • Anziehen = 1 Löffel
  • Frühstück machen und essen = 3 Löffel
  • Medikamente einnehmen = 1 Löffel
  • Zähne putzen und Haare bürsten = 2 Löffel
  • Zur Schule oder Arbeit gehen = 4 Löffel
  • Eine Verabredung einhalten = 3 Löffel
  • Bekannten/Verwandten anrufen = 2 Löffel
  • Leichte Hausarbeit verrichten = 3 Löffel
  • Einkaufen = 4 Löffel
  • Zum Gym = 4 Löffel

Selbstwahrnehmung

Die Löffeltheorie betont die Bedeutung von Selbstwahrnehmung und eigenes Tempo erkennen und regulieren. Menschen mit eingeschränkter Energie müssen ihre Aufgaben priorisieren, um zu vermeiden, dass ihnen vorzeitig die Löffel ausgehen.

 

Das bedeutet, Entscheidungen zu treffen, die andere für selbstverständlich halten, wie die Entscheidung, ob Sie zum Abendessen ausgehen oder Energie für eine gesellschaftliche Veranstaltung später in der Woche sparen wollen.

 

Durch die Verwaltung ihrer Löffelreserven können Betroffene ihr Energieniveau besser ausbalancieren und Aktivitäten ausüben, die ihnen wirklich wichtig sind.


Die meisten Informationen in diesem Beitrag kommen von https://me-pedia.org, klicke auf diesem Link um zur Website zu gelangen. Die restlichen Infos habe ich von Chatty zusammengestellt bekommen. 

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